Grenzen der Menschlichkeit

Der Geschichtskreis „Rund um den Russee“ hat das Geschichtsjournal Nr. 8 veröffentlicht. Die 38-seitige Titelgeschichtehandelt über das Arbeits- und Erziehungslager (AEL) Nordmark, das die Nationalsozialisten 1944 errichtet hatten und in dem über 600 Menschen getötet wurden.

Der Bericht stammt von zwei Schülerinnen des 12. Jahrgangs des Max-Planck-Gymnasiums aus dem Jahr 2002. Ihm gingen intensive Recherchen im Kieler Stadtarchiv voraus. Im Rahmen einer prämierten Projektarbeit im Kunst-Leistungskurs zum Thema der damaligen Ausschreibung der Körber Stiftung „Migration in der Geschichte – Weggehen und Ankommen“ schildern sie das grausige Geschehen im Lager, die Todesmärsche kurz vor der Kapitulation und die Endphase mit willkürlichen Erschießungen. Der Höhepunkt des Aufsatzes sind die Zitate eines ehemaligen Lagerhäftlings, mit dem die Schülerinnen selbst mehrfach im Briefaustausch standen.

1944: Bezug der Baracken
Im Juli 1944 standen auf dem 13 ha großen Gelände zwischen Speckenbecker Weg und Rendsburger Landstraße 22 Baracken. Anfangs kamen täglich 60–100 Inhaftierte vom Polizeigefängnis Drachensee.
Die Baracken waren primitiv und unbeheizt. Gedacht für 100 Personen, befanden sich in jeder Baracke pro Längsseite 20 Betten, die ohne Decken oder Stroh mit einer Breite von 90 cm das Nachtlager für zwei bis drei Personen boten. Die Nahrungsmittelversorgung war mangelhaft und die Häftlinge bald so ausgemergelt, dass sie nach kurzer Zeit nicht mehr einsatzfähig waren und an Unterernährung starben oder erschossen wurden.

Das Lager und die Bevölkerung
Die unmittelbaren Anwohner in Hassee und Russee wussten von der Existenz des Lagers. Viele kamen zwangsläufig auf dem Weg zur Arbeit an dem unheilvollen Ort vorbei. Außenstehende sahen, wie brutal die Häftlinge behandelt wurden, sahen Erschießungen und Beerdigungen in Massengräbern. Aus Angst sprach niemand öffentlich über die Taten der Gestapo.

Die Befreiung der Allierten
Am 2. Mai 1945 wurden die Arbeiter und größtenteils auch die Häftlinge entlassen. Beweismaterial wurde sys-tematisch verbrannt. Nur einen Tag später floh das restliche Personal des AEL Nordmark in Richtung Norden. Die Alliierten fanden ein auf den ersten Blick verlassenes Lager vor.

Das Lager in der Nachkriegszeit
Den Allierten diente das AEL drei Jahre lang als „Displaced Persons Camp“. Ab Ende 1948 begann die dritte und letzte Phase. Die Stadt Kiel war durch den Bombenkrieg stark zerstört worden und musste den Zuzug tausender Fluchtlinge bewältigen. Die bereits leerstehenden Baracken am Russee wurden dringend benötigt. 1949 lebten im Flüchtlingslager Rendsburger Landstraße über 300 Menschen. Erst 1968 wurden die letzten Baracken des Lagers abgerissen.

Ergänzungen der Mitautorin
„Ich erinnere mich, dass die Recherche erschütternd war und wir insbesondere durch die Archivbilder sowie die handschriftlichen Briefe und Schilderungen vom ehemaligen Mithäftling und Zeitzeugen Bertorelli sehr beeindruckt waren“, erklärt Bodil Diederichsen.

Text: Frahm; Foto: ©Geschichtskreis