Herr der tausend Marionetten

Schon vor dem Betreten des Wohnhauses in der Hofteichstraße am Rand des Vieburger Gehölzes fallen holzgeschnitzte Figuren im Vorgarten ins Auge. Wer das Haus betritt, hat das Gefühl, durch ein Meer von Puppen zu gelangen. Schier unglaublich, wie viele unterschiedliche Figuren von der Decke hängen.

Peter Beyer, der bereits mit 13 Jahren zu seiner Berufung gefunden hat, lädt ein und seine Frau Evelin stellt zum Interview in der Werkstatt den Kaffee bereit, der auf einer Werkbank seinen angemessenen Platz findet.

Von Frankfurt nach Kiel
Bis zum sechsten Lebensjahr wuchs der stolze Besitzer von über tausend Marionetten in Frankfurt auf. Nach der Scheidung seiner Eltern ging es mit seiner Mutter nach Kiel. Mit elf Jahren zog er in das heutige Wohnhaus im Eisenbahner-Viertel. Nach seinem Auszug in jungen Jahren zog es ihn später wieder zurück. Hier lebt er bis heute mit seiner Frau.
Reisen in alle Welt
In den Ferien ging es immer wieder nach Frankfurt. Mit seinem Vater konnte Peter nicht nur Tagestouren, sondern sich bereits in frühen Jahren ein Bild von der Welt machen. „Wir haben immer Ausflüge gemacht“, erinnert sich der gelernte Tischler. Indien, Ägypten, Tunesien und nicht zuletzt Sri Lanka beeindruckten ihn sehr.

Die große Liebe aus Stuttgart
Als Peter Beyer seinen Zivildienst begann, ging es für ihn zu vielen Weiterbildungen nach Stuttgart. Dort fanden auch einige Partys statt. Die Reisen mit dem Zug nahm er gern in Kauf, zumal er dadurch seine heutige Frau Evelin kennenlernte. Nach einigen Jahren, in denen sie sich Briefe schrieben und viel miteinander telefonierten, war es dann soweit. Evelin kam zu Peter in den hohen Norden, wo sie 1993 heirateten und eine Familie gründeten.

Kinderzirkus Beppolino
Peter Beyer, der schon als Kind „teilweise nächtelang“ an seinen Figuren bastelte, zog seine ganze Familie mit in den Bann. So war die gesamte Familie Beyer zehn Jahre lang ehrenamtlich mit dem AWO-Kinderzirkus Beppolino aktiv. Sein Sohn ist heute 26 Jahre alt und ebenfalls Tischler. Seine 21-jährige Tochter studiert u.a. Anglistik.

Musikvideo für Revolverheld
Zu den Highlights gehören für den aktiven Figurenbauer die selbst gebauten Marionetten für das Musikvideo „Lass uns gehen“ von Revolverheld. „Das war ´ne einmalige Chance. Da musst du zugreifen“, sagt er energisch. Er baute innerhalb kürzester Zeit fünf gewünschte Nachbildungen der Bandmitglieder und spielte mit Frau und Tochter im Musikvideo die Marionetten. „Eine Punktlandung“, wie er stolz verrät. Bei einem Konzert auf dem Fördefestival 2014 in Laboe ging er sogar live mit auf die Bühne.
Während Sänger Johannes sang, spielte er parallel die Figur „Johannes“. Für das Braunschweiger Stadtmuseums restaurierte er zehn Figuren des berühmten Puppenspielers Haro Siegel.

Unendlich viele Workshops
Wie viele Workshops er bis heute gegeben hat, weiß Peter gar nicht mehr. Er war bereits in seiner Studentenzeit in der Sozialpädagogik als Dozent tätig und gab eigene Kurse. Zuletzt war er in Schleswig aktiv und seit Anfang Juni gibt er mit anderen Künstlerinnen und Künstlern regelmäßige Workshops. Diese finden direkt in der Unterkunft für geflüchtete Menschen im Stadtteil Wik statt. Dort baut Peter Beyer meist montags mit Kindern Figuren und leistet so Unterstützung bei der Integration. Diese kulturpädagogischen Angebote für Geflüchtete wurden vom Amt für Kultur und Weiterbildung ins Leben gerufen. Maike Vieland vom Kulturbüro erklärt, dass auch „die Kultur eine Hand reichen kann und sich die Angebote als kulturelle Erste Hilfe für Kinder in Notsituationen verstehen.“

Upcycling und ausdrucksstarke Figuren
Die Figuren, die der Familienvater zum Leben erweckt, bastelt er aus allen möglichen Abfallprodukten und einer Heißkleberpistole zusammen. „Meine Figuren sind überwiegend aus UpCycling-Material“, sagt er. Alte Kinderbettenstäbe können als Beine dienen, Eierpappen für Ohren und Nasen, Plastikbecher und zerquetschte Getränkedosen für den Kopf. Aus Fell entstehen Haare. Er verwendet „eigentlich alles, was ich unter die Finger bekomme“, gibt der Kulturschaffende zu verstehen. „Ich mag keine Mainstream-Figuren. Ich baue keine hübschen, sondern ausdrucksstarke Figuren“, erklärt Beyer, der mit Leib und Seele mit seinen Figuren tolle Geschichten erzählt und viele Menschen erreicht. Welches ist sein Favorit? „Meine Lieblingsfigur ist immer die letzte“, verrät er abschließend augenzwinkernd.MP