Lesen und Zeit haben

Foto von links: Lesepatinnen und -paten an der GemSKro: Dr. Winfried Dittmann, Hildegard Hahn, Beate Haltenhof, Axen Glas, Anke Paulus, Corinna Fürschke (Koordinatorin des Projekts), Susanne Lange

Lesepaten und -patinnen für die neuen fünften Klassen der GemSKro gesucht

In Deutschland haben etwa ein Viertel der Viertklässler und Viertklässlerinnen Schwierigkeiten beim Lesen und erreichen in dieser Altersstufe nicht das Mindestniveau an Textverständnis.

Schon vor Corona platzierte sich Deutschland im internationalen Vergleich bei Tests mit der Lesefähigkeit seiner Viertklässler eher im Mittelfeld und die Pandemie hat diesen Trend noch verstärkt. Kinder, die nicht gut oder zu langsam lesen, haben jedoch nicht nur im Fach Deutsch Schwierigkeiten, sondern verstehen oft auch nicht, was sie lesen.
So werden zum Beispiel auch Textaufgaben in Mathe und auf der weiterführenden Schule Texte in Erdkunde, Geschichte und anderen Fächern oder auch das Erlernen einer neuen Sprache zur großen Hürde.

Gemeinschaftsschule steuert dagegen
In der Gemeinschaftsschule Kronshagen versucht man, ab der fünften Klasse den Schülern und Schülerinnen individuell zu helfen, ihre Lesefähigkeit zu verbessern. Ein Baustein dazu ist das vor knapp zwei Jahren durch einen Aufruf im Kronshagen Magazin durch Lehrkraft Corinna Fürschke (Koordinatorin und Präventionsbeauftragte der GemSKro) ins Leben gerufene Lesepatinnen- und Lesepaten-Modell. „Das Projekt hat sich in den letzten zwei Jahren bewährt und soll auf jeden Fall weiter fortgeführt werden. Wir konnten 2021 nach dem Aufruf alle fünften Klassen mit Paten versorgen und hatten damals sogar einen Überhang, sodass auch für die darauffolgenden fünften Klassen 2022 Lesepaten zur Verfügung standen. Fast alle Paten sind immer noch dabei. Einige sind mittlerweile sogar in zwei Klassen tätig, da wir das Projekt in den sechsten Klassen weitergeführt haben und auch im siebten Jahrgang fortsetzen wollen. Die Kinder haben oft eine enge und vertrauensvolle Bindung an die jeweiligen Lesepaten ihrer Klasse entwickelt und so ist es sowohl Wunsch der Schule als auch der Lesepaten und -patinnen selbst, dass diese die Klassen auch weiterhin begleiten.
Allerdings stehen dann für die neuen fünften Klassen, die nach den Sommerferien 2023 eingeschult sind, nicht genug Paten und Patinnen zur Verfügung. Deshalb hoffen wir auf engagierte, lesebegeisterte Menschen, die eine sinnvolle ehrenamtliche Betätigung suchen und circa eine Stunde pro Woche Zeit haben, um ab September 2023 uns als Lesepaten und Lesepatinnen zu unterstützen.“

Lesen und Zeit haben
Beim Leseprojekt geht es um die Verbesserung der Lesefähigkeit, die Möglichkeit, gemeinsam zu lesen, sich vorlesen zu lassen oder selbst vorzulesen. Es hat sich gezeigt, dass die Stunde mit den Externen auch bei Kindern sehr beliebt ist, die schon gut lesen können. Denn Zeit mit einem Erwachsenen zu verbringen, der ganz für einen da und nicht durch das Handy oder Alltagsstress abgelenkt ist, sich für das interessiert, was die Kinder gerade bewegt, oder sie durch seine Erzählungen anregt und ernst nimmt, ist heutzutage etwas sehr Kostbares.
Die externen Erwachsenen haben dabei noch den Vorteil, dass sie die Kinder – anders als die Lehrkräfte –nicht bewerten. Hier dürfen die Kinder Fehler machen und Schwächen zeigen. Aus diesem Gefühl heraus lernt es sich leichter und man traut sich eher etwas zu.
Das stärkt das Selbstwertgefühl der Kinder, hilft ihnen bei der Persönlichkeitsentwicklung und führt sie mit zunehmendem ­Vertrauen zu den Paten und Patinnen über Gespräche an neue Sichtweisen und Denkansätze heran und hilft ihnen, Neues zu wagen.
Auch das Sprechen miteinander hilft beim guten Lesen und Verstehen. Denn nur ein Kind, das einen großen Sprachschatz hat, kann auch verstehen, was es liest. Das gilt für alle Kinder, aber besonders natürlich für die Kinder in den DaZ-Klassen (DaZ = Deutsch als Zweitsprache).

Win-win-Situation für Kinder und Paten
„Meine Klasse und ich freuen uns jede Woche auf die gemeinsame Lesestunde“, schwärmt Hildegard Hahn. „Auch wenn sie mich im Ort treffen, lächeln sie mich an, sagen „Hallo“. Es ist ein sehr nettes und beglückendes Miteinander mit den Kindern“, ergänzt die auch beim Ferienspaß des RfK mit Angeboten für Kinder sehr engagierte Kronshagenerin.
Die Klassenlehrerin der 7c, Katja Wild, freut sich sehr über die Unterstützung von Hildegard Hahn: „Gewöhnlich verbringt sie immer eine Unterrichtsstunde mit zwei Schülern oder Schülerinnen, die wöchentlich neu ausgewählt werden. Auf diese Weise kommen gerecht alle Kinder der Klasse abwechselnd dran, um mit Frau Hahn außerhalb des Klassenraums zu lesen. Unsere Lesepatin ist sehr beliebt in der Klasse. Das Lesen gewinnt durch ihre regelmäßige Anwesenheit einen neuen, hohen Stellenwert. Darüber hinaus hat uns Frau Hahn zu einem Besuch der Kunsthalle begleitet, die Klasse nach den Weihnachtsferien mit selbst gebackenen Küchlein verwöhnt, und wir haben zusammen im Unterricht in Kurzform Kindergeburtstage gefeiert.“
Die Kinder der Klasse überschlagen sich förmlich vor Begeisterung über ihre Lesepatin: „Frau Hahn ist richtig nett! Das Lesen macht mit ihr Spaß!“ und „Frau Hahn ist voll nett. Ich freue mich, wenn ich dran bin und mit ihr lesen darf.“ Und auch: „Ich habe ein Buch angefangen zu lesen und es Frau Hahn erzählt.“

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Schwerpunkt Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche
Während in der 7c alle Kinder in den Genuss einer Stunde mit der Lesepatin der Klasse kommen, setzt Tim Engel, Klassenlehrer der 6b, in seiner Klasse die Lesepatin Beate Haltenhof schwerpunktmäßig für die fünf LRS-Kinder (LRS = Lese-Rechtschreib-Schwäche) der Klasse ein, weil sie die Förderung am meisten brauchen.
Auch die Kronshagenerin Beate Haltenhof freut sich auf die wöchentliche Lesestunde: „Ich bin gern Lesepatin, weil ich in meiner Freizeit etwas Sinnvolles tun möchte. Ich lese selbst seit meiner Kindheit sehr gern und möchte versuchen, diese Freude an die Schülerinnen und Schüler weiterzugeben. Ich bin jetzt seit einem Jahr dabei und habe den Eindruck, dass die Kinder Spaß an dieser besonderen Schulstunde haben.“
Dass die Kinder Spaß haben, bestätigt Lehrkraft Tim Engel: „Die Schüler und Schülerinnen verbringen die Zeit sehr gerne mit der Lesepatin. Es ist ein Privileg und kein Muss.“

Schwerpunkt Förderkinder
Antje Hüttenrauch ist Klassenlehrerin der 6a und freut sich, mit sechs Förderkindern in der Klasse mit ihrer Lesepatin Inge Schließmann eine Unterstützung für diese erhalten zu haben: „Wir freuen uns sehr, dass Frau Schließmann zu uns in die Schule kommt. Wir handhaben ihren Einsatz sehr variabel, d. h. mal hilft sie unseren Förderschülern bei den Aufgaben im Klassenzimmer, aber noch öfter geht sie mit einzelnen Schülern und Schülerinnen in einen Nebenraum und liest mit ihnen. Wir haben dazu eine Bücherkiste aus der Bücherei bestellt, um immer aktuellen Lesestoff zu haben. Am meisten lieben es die Kinder, dass sie ganz in Ruhe mit jemandem zusammen sein können, der uneingeschränkt Zeit für sie hat. Oft entstehen dabei ganz wunderbare Gespräche.“
Das kann Inge Schließmann bestätigen. Sie wollte sich als aktive Rentnerin in der Gemeinde engagieren und da sie von Kindheit an „Leseratte“ ist und der Umgang mit Kindern und Jugendlichen der Sozialpädagogin immer Spaß gemacht hat, lag die Kombination aus beidem nahe. So wurde sie vor einem Jahr Lesepatin.
Sie schwärmt von ihrer Arbeit in der Schule: „Ich wurde sehr herzlich in der Klasse aufgenommen. Wenn ich mich mit ein bis zwei Jugendlichen für eine Schulstunde zum Lesen oder auch Erzählen zurückziehen kann, genießen das beide Seiten. Wenn es passt, bearbeiten wir auch auf persönlicher Ebene Themen, die im Lehrplan für Deutsch gerade behandelt werden. So entsteht Wort für Wort ein Text, und Förderschüler haben so die Chance, auch einen ganzen Text abliefern zu können. Sie sind danach stets sehr zufrieden, aber auch sehr erschöpft.“ Inge Schließmann wird „ihre“ Klasse gerne weiter begleiten. Und sie möchte allen Interessierten Mut machen, sich dieser schönen und beglückenden Aufgabe zu stellen.
Lesepate Winfried Dittmann
Der Kronshagener Dr. Winfried Dittmann engagiert sich gleich in zwei Klassen als Lesepate: seit zwei Jahren in der 7d und seit einem Jahr in der 6c. Ihm macht der ehrenamtliche Job sehr viel Spaß: „Man weiß, dass heute viele Kinder Schwierigkeiten mit dem Lesen haben. Ich habe Lesen immer als Bereicherung meines Lebens empfunden und möchte dieses Erlebnis an die Kinder weitergeben, indem ich ihnen helfe, gut lesen zu lernen und den Zugang zu Büchern zu finden. Am Anfang lesen die Kinder oft stockend oder auch flüssig, aber noch ohne Betonung, ohne Punkt und Komma. Dann merkt man, dass sie gar nicht verstehen, was sie lesen.“ Das zu ändern ist eine große Aufgabe, aber es macht ihm und den anderen Lesepaten und -patinnen sichtlich Spaß, die Kinder auf ihrem Entwicklungsweg zu begleiten.
Die Klassenlehrkräfte der 7d und 6c empfinden die Arbeit ihres Lesepaten als absolute Bereicherung für die Klassen, auch sein Engagement über das Lesen hinaus: „Nach einer Reise nach Namibia hat er einen Fotovortrag gehalten, den die Kinder ganz toll fanden“, sagt Jane Wegner. Und Janina Birke ergänzt: „Die Motivation der Schüler und Schülerinnen, mit Herrn Dittmann zu lesen, ist groß. Alle wollen gerne mit ihm lesen, sodass wir nun eine feste Reihenfolge einteilen mussten, damit sich keiner benachteiligt fühlt. Oft bringt Herr Dittmann auch eigene Bücher oder Bücher aus der Bücherei mit.“ Jane Wegner merkt an, dass sich die Kinder besonders über die ungeteilte Aufmerksamkeit von Herrn Dittmann außerhalb des großen Klassenverbandes freuen und sie auch oft ins Gespräch mit ihm über „alles Mögliche“ kommen. Ungeteilte Aufmerksamkeit und Zeit fehlt oft im Alltagsleben der Jugendlichen.

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Lesepatin Susanne Lange
Gaby Benthin, Klassenlehrkraft der 7a, ist ebenfalls sehr glücklich, dass die Klasse eine Lesepatin hat: „Die Klasse, Frau Lange und ich haben ein sehr herzliches Verhältnis miteinander. Frau Lange ist sogar auf einigen Schulveranstaltungen wie z. B. dem Lauftag und unserem Klassenfest mit dabei gewesen. Sie kommt einmal in der Woche für eine Stunde und liest dann mit ein bis drei Kindern. Die Schüler und Schülerinnen mögen sie sehr und lieben diese Auszeit und das unbenotete Lesen.“
Die Lesepatin der 7a, die Kronshagenerin Susanne Lange, möchte ihre wöchentliche Stunde mit den Kindern nicht mehr missen: „Ich wollte im Ruhestand etwas Sinnvolles, Ehrenamtliches tun. Gerne mit Kindern, denn Kinder brauchen viel Zeit, die heute kaum noch einer hat. Die Lesestunde gibt nicht nur den Kindern, sondern auch mir selbst so viel und ich komme immer ganz erfüllt nach der Stunde nach Hause.“

Lesepaten im DaZ-Zentrum
In den DaZ-Klassen kümmern sich gleich drei Ehrenamtliche um die Sprach- und Lesefähigkeit der Kinder. „Gerade im DaZ-Bereich freuen die Kinder und ich uns über die Unterstützung von unseren drei engagierten Lesepaten“, erzählt die Leiterin des DaZ-Zentrums, Stephanie Thomsen. „Aber im Grunde geht es nur ‚nebenbei‘ um die Verbesserung des Leseprozesses. Viel wertvoller erscheint mir die liebevolle Zuwendung und Fokussierung auf ein Kind, die Ermutigung, in einer neuen Sprache zu sprechen und die Wörter auch richtig auszusprechen, sich zu trauen und somit ein Vertrauensverhältnis zu entwickeln. Das gelingt Frau Paulus, Herrn Blatt und Herrn Glas auf wunderbare Weise, jeder/jedem auf seine Art. Dafür sind wir dankbar.“
Lesepate Axen Glas ist erst seit ein paar Monaten Lesepate und hilft gerne im DaZ-Zentrum: „Ich wollte eigentlich ursprünglich Lehrer werden und kann mir jetzt im Ruhestand diesen Wunsch noch erfüllen.“
Die Kronshagenerin Anke Paulus hat sich sofort auf den Lesepatenaufruf vor zwei Jahren gemeldet: „Ich bin jahrzehntelang Förderschullehrerin gewesen und war traurig, als die beglückende Zeit zu Ende war. Ich liebe es zu helfen. Die Stunde mit den Kindern strukturiert auch meinen Alltag, und die strahlenden Kinderaugen sind genug Lohn.“ Im DaZ-Zentrum besteht ihre Aufgabe manchmal auch darin, Kinder mit unserer Schrift vertraut zu machen und ihr Selbstbewusstsein zu stärken. „Besonders Mädchen sind am Anfang sehr verunsichert, sprechen nur leise. Es ist schön, mitzuerleben, wie sie mir immer mehr vertrauen, aufblühen und aus sich herauskommen und sich ihr Sprachvermögen und damit auch ihr Lesevermögen immens verbessert.“
Das Vertrauen zwischen den Kindern und ihr ist mittlerweile so groß, dass sie auch kein Zurückhalten kennt, wenn ein paar Fünfzehnjährige mit Machosprüchen untereinander auftrumpfen. Dann diskutiert sie mit ihnen, bis die Gemüter sich beruhigt haben. „Die Schüler spüren, dass ich meine Prinzipien habe, authentisch bin. Sie respektieren mich und hören mir zu. Auf dieser Basis lässt sich viel erreichen.“
Lesepaten und -patinnen bitte melden
Corinna Fürschke, Präventionsbeauftragte der GemSKro, hofft darauf, dass sich auch für die nächsten fünften Klassen Lesepaten und Lesepatinnen finden. Auch wer für das nächste Schuljahr keine Zeit hat, kann sich gerne melden, denn auch für die nachfolgenden fünften Klassen soll das in vielerlei Hinsicht sehr bewährte Modell fortgesetzt werden.
Ansprechpartnerin ist Corinna Fürschke,
corinna.fuerschke@gemskro.de, Telefon 0431 / 23724293.

Text und Fotos: Silke Umlauff