Wie heizen wir in Zukunft?

„Jedes Haus ist individuell. Es gibt kein verallgemeinerbares Patent­rezept“, sagt Jürgen Meereis Foto: Jens Uwe Mollenhauer

Physiker Jürgen Meereis informiert über Erneuerbare Energien und neues Gebäudeenergiegesetz

Wie es wärmetechnisch für uns alle weitergeht in der aktuellen Energie- und Klimakrise, das erläuterte der Physiker Jürgen Meereis auf einem öffentlichen Vortrag am 9. Mai im Gemeinschaftshaus der „Alten Gärtnerei“.

Als Putin die Ukraine überfiel, war plötzlich nichts mehr so wie vorher. Billige Erdgasimporte aus Russland waren bis dato eine sicher geglaubte Bank. Zudem galt es als weniger umweltschädlich im Vergleich zu anderen fossilen Ener­gieträgern. Nur wenige Mitmenschen machten sich daher Sorgen um ihre selbstverständliche wohlige Wärme in den eigenen vier Wänden. Das Klimathema wurde kaum wahrgenommen. Es sollte erst einmal reichen, wenn ein paar E-Autos angeschafft wurden. Nun ist uns die eigene Zögerlichkeit auf die Füße gefallen. Der Aufschrei ist groß. Angst wird geschürt, und populistisches Gezeter vergiftet zunehmend die Sachdiskussion.
Zugegebenermaßen hat die Politik mit ihrem Zickzackkurs bei der anstehenden Novelle des Gebäude­energiegesetzes (GEG) ein Kommunikationsdesaster verursacht und damit nicht gerade zur Beruhigung der Gemüter beigetragen.
Um Klarheit in das Thema Gebäudeheizung zu bringen, lud Jürgen Meereis, Kandidat der Grünen für den Wahlkreis Hassee / Vieburg, zu einer Infoveranstaltung in die Ökosiedlung „Alte Gärtnerei“ ein.
Mehr als die Hälfte des Primärenergiebedarfs in Deutschland entfällt auf Wärme (und Kälte). Hier ist also der größte Handlungsbedarf zu verorten.
Wie wir in Zukunft heizen werden, ist kein triviales Thema. Schon zu Beginn seines Vortrages macht Meereis klar: „Jedes Haus ist individuell. Es gibt kein verallgemeinerbares Patentrezept.“ Leider lässt sich der Klimawandel nicht wegleugnen. Auch die enorme Verteuerung der bisher genutzten Energieträger zwingt dazu, in neue Richtungen zu denken. Beides zusammen findet seinen Niederschlag in der Novelle des GEG, das vom Bund derzeit erarbeitet wird und sich in heißer öffentlicher Diskussion befindet. Es ist Zeit für eine differenzierte und vor allem unaufgeregte Betrachtung aller Technologien. Nicht alles, was machbar ist, lohnt sich auch. Gerade im Bereich Gebäudedämmung muss auch abgewogen werden, ob diese in einem gesunden Verhältnis zum erreichbaren Nutzen steht. Der Lieblings­slogan von einem seiner Kollegen: „Lieber intelligent verschwenden als blöde sparen.“ Normalerweise ist Einsparung durch Dämmung die mit Abstand effizienteste „Ener­giequelle“.

Gutachten vom Energieberater
Es gibt für energetische Sanierungsvorhaben ein dickes Bündel an Fördermöglichkeiten. Doch selbst Fachleute verlieren oft den Überblick, welche Töpfe angezapft werden können. Manches ändert sich im Wochentakt. Es herrscht zudem große Unsicherheit über die optimalen individuellen Maßnahmen. Für normale Hausbesitzer ist die beste Lösung der Gang zum zertifizierten Energieberater. Das Gutachten kostet rund 1.500 Euro und ist bis zu 80% förderfähig.
Für erste Informationen hilft der viel kostengünstigere Kontakt zur Verbraucherzentrale oder mit Blick auf Förderungen zur Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) sowie zur Investitionsbank (IB.SH).
Bei der Wärmebereitstellung werden wir uns von vielen liebgewonnenen Energieträgern verabschieden müssen. Auf der Kostenseite haben die fossilen Energieträger die erneuerbaren in letzter Zeit deutlich überholt. Auch wenn wir klimaneutral werden wollen, kommen Erdgas, Öl, Kohle nicht mehr infrage. Gerade diese liefern aber hohe Temperaturen. Die Entwicklung muss also hingehen zu niedrigerem Temperaturbedarf. Das geht nur in gut gedämmten Häusern. Vor allem dort funktionieren Wärmepumpen effizient.

Auslaufende Technologien
Bis vor Kurzem wurden mit Erdgas betriebene Blockheizkraftwerke als nahezu konkurrenzlose und umweltfreundliche Lösung für kleinere Siedlungen angesehen. Der Doppelnutzen als Wärme- und Stromquelle war zwar effizienter als einfache Heizkessel, doch an der Verbrennung fossiler Energieträger ändert das nichts. Biogas zu verbrennen ist klimaneutral, da genau so viel CO2 freigesetzt wird, wie beim Wachstum der zur Produktion eingesetzten Pflanzen gebunden wurde. Doch diese stehen nicht unbegrenzt zur Verfügung. Problematisch wird dieser Energieträger in dem Moment, wo Anbauflächen der Nahrungsmittelproduktion entzogen werden. Wogende Getreidefelder, nur angebaut, um am Ende verbrannt zu werden – eine mehr als verstörende Vorstellung!
In gleicher Weise nicht optimal, teuer und ebenfalls begrenzt sind alle Arten von Heizungen, in denen Holz verbrannt wird. Hier kommt das Feinstaubproblem noch hinzu.

Energieträger der Zukunft
Wärmeerzeugung durch Sonnenenergie benötigt viel Fläche und viel Startkapital. Sie lässt sich in jede Größenordnung skalieren und steht dann jahrelang unbegrenzt und kostengünstig zur Verfügung. Zusammen mit Wärmepumpen und weiteren Technologien für die dunkle Jahreszeit steht ein leistungsfähiger Energieträger für die Grundlast zur Verfügung. Erdwärme aus großer Tiefe ist in Schleswig-Holstein verfügbar.
Jürgen Meereis nennt es begrüßenswert, dass die Kieler Stadtwerke sich für die Fernwärmeversorgung auch mit diesem Konzept befassen.Wärmepumpen können ihre Wärme aus der Luft oder – effizienter und vor allem für große Anlagen geeignet – aus Wasser beziehen. Dafür reicht sogar die Temperatur der Kieler Förde aus.
Für die Stadtwerke ist dies kurzfristig angedacht. Für private Anlagen dürfte die Luft-Wärmepumpe in Zukunft eine große Rolle spielen, aber auch die Kombination mit Solarwärme. Alle Wärmepumpen zusammen brauchen aber viel Strom, was weiteren Netzausbau und zusätzliche Technologien nach sich zieht.
Beim Strom wird davon ausgegangen, dass er klimaneutral durch Wind und Sonne erzeugt wird.

Langer Weg zum Wasserstoff
Der Einsatz der Wasserstofftechnologie wird immer wieder erwähnt. Es wird von nichtberufener Seite viel hineinfantasiert. Der große Vorteil von Wasserstoff (H2) ist, dass sich mit ihm viel Energie puffern lässt für Mangelzeiten, wenn länger nicht die Sonne scheint und auch kein Lüftchen weht. Er kann, wie heute Erdgas, langfristig in großen Kavernen gespeichert, bei Strommangel z. B. im Küstenkraftwerk eingesetzt werden und damit unsere Energiereserve bilden. Wir benötigen jedoch zur Herstellung große Strommengen, sodass wir auch auf den Import von grünem Wasserstoff angewiesen sein werden. Dabei können wir mehr und besser diversifizierte Lieferländer nutzen als heute bei Öl und Gas: den gesamten Mittelmeerraum, Australien, Chile und viele andere. Bis dahin wird Wasserstoff vor allem im der Grundstoffindustrie (Chemie, Stahl) benötigt, für den Flugverkehr (synthetisches Kerosin) oder für schwere LKW und sicherlich nicht so bald zum Verbrennen in Gasheizungen. Vorausgesetzt, es gibt in Zukunft genügend Strom-Transportkapazität, dann könnten aber auch die riesigen Pumpspeicherkraftwerke Norwegens teilweise unsere Netzschwankungen ausgleichen.

Was bedeutet nun die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes?
Die GEG-Novelle hat gleichermaßen Neu- wie Bestandsbauten im Blick. Bestenfalls Kombiheizungen gehen noch mit mindestens 65 % Anteil an erneuerbaren Energien. Das schließt Öl und Gas nicht völlig aus. Diese sind in Reinform aber nicht mehr zulässig. Altbauten dürfen auch eine Biomasse-Heizung haben. Auch Gas ist möglich, sofern zu mindestens 65% aus Biogas oder H2 bestehend.
Die Angst geht um: Was passiert bei einer Heizungshavarie? Muss ich dann mein Haus verkaufen, weil ich mir die neue Heizung nicht leisten kann? Diese Panik wird in sozialen Medien von populistischer Seite aktuell geschürt. Aber das ist natürlich Unfug.
Es wird jahrelange Übergangsfristen geben. Senioren ab 80 soll der Stress ganz erspart werden. Es wird zahlreiche Fördertöpfe geben. Außerdem amortisieren sich die Investitionen durch billigere Betriebskosten schneller.
Schließlich und ganz wichtig: Es wird eine Härtefallregelung geben.Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, die Diskussion geht weiter.
Auch die Stadt Kiel wird mit ins Boot geholt. Bis 2024 ist die Stadt verpflichtet, eine ‚Kommunale Wärme- und Kälteplanung‘ vorzulegen. Hierin ist darzulegen, welcher Ausbaubedarf bei erneuerbaren Energien besteht und was z. B. in Sachen Fernwärme und energetischer Sanierung von Gebäuden erreicht werden soll. Diese sollte nach Meereis’ Vorstellung dort, wo auch zukünftig kein Fernwärmenetz der Stadtwerke sein wird, durch detailliertere Quartierskonzepte ergänzt werden. Die Ergebnisse geben dann den Bürgerinnen und Bürgern eine klare Orientierung, wie sie ihr Haus zukünftig am besten beheizen. JM