Das Museum in unserem Stadtteil

Im Gebäude der Theodor-Heuss-Schule in der Rendsburger Landstraße 127d befindet sich ein kleines, aber feines Schulmuseum – zu besichtigen für Klassen und Gruppen nach Vereinbarung, rein ehrenamtlich betreut von Rektor a. D. Dieter Sievers.

Erinnern Sie sich noch an Ihre Schulzeit? Selbstverständlich, niemand könnte diese Zeit jemals vergessen, die nahezu die gesamte Kindheit und Jugend geprägt hat!
Und doch haben wir alle ganz unterschiedliche Erinnerungen, die oft das gesamte Spektrum der Gefühlswelt abdecken. Es gab Erfolge, Freundschaften, die erste Liebe vielleicht, aber auch schlimme Momente, Versagensangst, Mobbing, Intrigen und natürlich Aggression bis hin zu brutaler Gewalt.
Museumsdirektor Dieter Sievers erwartet die KIEL-LOKAL-Reporter schon an der Eingangstür der Theodor-Heuss-Schule. Sievers ist Jahrgang 1938 und erinnert sich lebhaft an seine Schulzeit, die in einer der dunkelsten Epochen der deutschen Geschichte ihren Anfang nahm.
An verschiedenen Orten in Schleswig-Holstein durchlief er seine Lehrerlaufbahn. Ab 1985 war er dann selbst Schulrektor an der Theodor-Heuss-Schule, bis zu seiner Pensionierung 2003. Und auch danach nimmt ihn das Thema Schule noch voll in Beschlag. Denn Sievers hat in den vergangenen Jahrzehnten ein spannendes Schulmuseum aufgebaut, dessen Exponate jedem hiesigen Schulkind noch gut in Erinnerung sein dürften. Ehrenamtlich pflegt er die Exponate und Archive. Wenn möglich, radelt der über 80-Jährige, der sich glücklicherweise guter Fitness erfreut, wie er selbst sagt, von der Innenstadt zur Schule. Er gibt aber zu, dass er in letzter Zeit auch öfter den Bus nimmt. Seit vor sechs Jahren seine Frau verstarb, weitete Sievers seine ehrenamtlichen Aktivitäten für die Nikolaikirche nochmals aus und widmet sich Menschen seines Alters, denen eine gute Gesundheit nicht mehr vergönnt ist.
Mit sanfter Stimme schlägt der Museumsdirektor einen großen Bogen von der erstmaligen Einrichtung einer Volksschule bis zur Gegenwart. Als die Gebäude der heuti­gen Theodor-Heuss-Schule ge­plant wurden, berichtet Sievers mit verschmitztem Lächeln, habe er in engem Kontakt mit den Ämtern und dem Architekten an dem pädagogischen Konzept des Neubaus mit seinen großzügigen Hallen und Galerien mitwirken und dort Möglichkeiten eröffnen können für ein kleines Schulmuseum mit einer historischen Schulstube und zahlreichen Vitrinen, inselartig verteilt in den Hallen und auf der Galerie.

Von den Anfängen bis zur Gemeinschaftsschule Hassee und Theodor-Heuss-Schule
Sehr anschaulich weiß Sievers zu berichten, wie das Schulleben in früheren Tagen vonstatten ging. Im 18. Jahrhundert waren die Schulkinder des Kieler Südens ungefähr das, was wir heute Fahrschüler nennen. Mit dem Unterschied, dass es wohl ausnahmslos zu Fuß auf den matschigen Verbindungswegen bis nach Suchsdorf ging.

In Hassee entstand die erste Volksschule im Jahre 1772, in einem Fachwerkhaus in Demühlen – zuständig für die Dörfer Hassee, Russee und Hasseldieksdamm. Dieses Jahr steht die 250-Jahrfeier an.
Die Schulkate in Demühlen war nach 50 Jahren baufällig. Ein größerer Neubau entstand 1829 nahe der ersten Schulkate. In den nächs­ten 40 Jahren stiegen die Schülerzahlen stark, sodass Russee 1871 eine eigene Schule erhielt und 1876 für Hassee und Winterbek ein größerer Neubau an der Rendsburger Landstraße 115 entstand. Nach der Eingemeindung nach Kiel 1910 entwickelte sich an diesem Standort eine der größten Volksschulen Schleswig-Holsteins.
Nach jahrelangen, oft sehr ideologisch geführten Kämpfen wurde sie Anfang der Neunziger in die Integrierte Gesamtschule Hassee umgewandelt. Parallel entstand nebenan der Neubau der heutigen Theodor-Heuss-Grundschule.

Unterricht in der Nachkriegszeit
Die Exponate in Vitrinen und an den Wänden zeigen sehr anschaulich, mit welchen Lehrmitteln in Zeiten gearbeitet wurde, als Beamer, Computer und Whiteboard noch gänzlich unbekannt waren.
Wunderbar gestaltete Wandkarten mit zeichnerischen Detaildarstellungen für den Biologieunterricht bewundern wir neben Fibeln aus der Nachkriegszeit, von Kinderhand sorgfältig koloriert, daneben handgezeichnete Landkarten in Schulheften.
„Dass es so viele so sorgfältige Schülerarbeiten gibt, ist kein Wunder“
erläutert der Schulleiter a. D., „schließlich wurden oft alle Jahrgänge von der ersten bis zur neunten Klasse vom selben Lehrer gleichzeitig unterrichtet. Nicht selten stand ein einzelner Volksschullehrer vor einer Riesenklasse. Und für alle Kinder musste er sich etwas einfallen lassen. Da gab es sehr viel Stillarbeit. Wenn er Glück hatte, standen ihm ein paar Schulhelferinnen zur Seite, die ihn dabei unterstützten, den wilden Haufen halbwegs unter Kontrolle zu halten.“ Das waren gewiss Zustände, an denen es nichts zu glorifizieren gibt. Heute gibt es nur noch sehr wenige Beispiele von Schulen, in denen mehrere Jahrgänge gemeinsam in einem Klassenraum lernen, oft notgedrungen wegen geringer Kinderzahl – beispielsweise auf den Halligen. Im Kieler Süden verfolgt die Uwe-Jens-Lornsen-Schule in Hammer ein ähnliches Konzept.

Torf für den Schulofen
Wer in der Nachkriegszeit die Schule besucht hat, musste Dinge erleben, die die Fantasie heutiger Schulkinder bei weitem übersteigen. Teile der Lehrerschaft waren im Krieg umgekommen, es gab kein Lehrmaterial, keine Bücher und Karten, keine Technik. Die Schulgebäude waren nur notdürftig her­gerichtet. Die aus dem bombardierten Kiel auf das Land ausquartierten Familien strömten in die Heimatstadt zurück, massenhaft Flüchtlingskinder aus den ehemaligen Ostgebieten kamen dazu.
Überall herrschten Mangel und Armut in der Nachkriegszeit. Damit die Kinder nicht frieren mussten, waren sie gehalten, Brennmaterial für den Ofen des Klassenraums mitzubringen. Sievers erinnert sich noch gut, dass er als Kind zum Torf­stechen geschickt wurde. Ein kleiner Teil davon wurde im Unterricht verheizt.

Probesitzen wie vor 100 Jahren
Wie ein Schulraum aussah und wie sich die starren Holzbänke unter dem Kinderpo anfühlten, auch das lässt sich im Schulmuseum am eigenen Leibe erfahren. Im Durchgang im Obergeschoss hat Sievers einen Klassenraum aufgebaut, mit viel Originalinventar, mehreren Bänken und einem Schulmeister in Lebensgröße, übrigens mit den getreuen Gesichtszügen eines seiner Amtsvorgänger.

Schwarze Pädagogik & Gewalt
Viele Ältere kennen auch noch den Rohrstock und das Lineal. Meistens gab es damit auf die Finger oder auf den Po. Dem Lehrer standen aber auch andere gewalttätige Mittel zur Verfügung. Die sadistischsten Persönlichkeiten sind uns in bleibender Erinnerung.
Kleinste Vergehen und aus heutiger Sicht Lappalien wurden vor 100 Jahren mit schweren körperlichen Misshandlungen geahndet. Es genügte schon, einen Erwachsenen auf der Straße nicht angemessen zu grüßen, um sich brutale Stockschläge auf das Hinterteil einzuhandeln. Vermeintliche Faulheit oder Eigensinn wurden ähnlich geahndet. Das Repertoire an Schrecklichkeiten reichte vom Stehen in der Ecke über Ohrfeigen, Stock- und Peitschenhiebe, Ohrläppchendrehen, Knien auf Erbsen oder schafkantigem Holzscheit bis zum Einsperren in einem dunklen Raum. Erst um 1900 gab es Ansätze, zumindest die schlimmsten Gewaltexzesse unter Kontrolle zu bringen. Nun mussten die verhängten Körperstrafen in einem Schul-Strafbuch dokumentiert und begründet werden. Bei der Vollstreckung der Züchtigungen mussten Zeugen anwesend sein. Diese Verwaltungsvorschrift wiederum beschert uns einzigartige Dokumente. Einige der furchterregenden Instrumente damaliger Pädagogik sorgen heute im Schulmuseum von Rektor Sievers noch immer für Gänsehaut.
Tatsächlich war die körperliche Züchtigung im Schulunterricht 1967 bereits verboten worden. Da in den meisten Familien aber die Gewalt und Prügel gegen Kinder durchaus zum Alltag gehörten, nahmen es die Lehrer auch nicht so genau. Und entsprechend ebbte die Lehrergewalt erst Ende der 70er-Jahre ab – eine volle Schülergeneration später!

Sievers öffnet für die KIEL-LOKAL-Reporter auch einige seiner „geheimen“ Lagerräume. Wir blicken in die Museumsbücherei mit Lehrbüchern und Fibeln. Das älteste Exemplar stammt aus dem 17. Jahrhundert.
In einem anderen Depotraum zeigt er Schränke mit der ganzen Wunderwelt an Modellen und Anschauungsobjekten für den Physik­unterricht: Eine Dampfmaschine und verschiedene Verbrennungsmotoren, Experimentiergeräte für Chemie und Gerätschaften, die aufmerksame Kinder theoretisch in die Lage versetzten, selbst Alkohol zu brennen. Dieter Sievers könnte noch so viel mehr zeigen. Doch der Ausstellungsplatz ist begrenzt. Darum ist er dazu übergegangen, von Zeit zu Zeit einige Vitrinen mit wechselnden Ausstellungsstücken zu versehen. Aber auch so wird es kaum möglich sein, den gesamten Umfang seiner Sammlung zu erahnen.
Der ehrenamtliche Museumsdirektor Sievers möchte das Museum noch ein Jahr weiter betreuen und sorgt sich über seine Nachfolge. Das Museum hat noch viele Aufgaben vor sich, so die digitale Inventarisierung.
Das Hasseer Schulmuseum kann derzeit wegen der Corona-Regeln nur ausnahmsweise besucht werden. Interessenten melden sich telefonisch bei Dieter Sievers unter 0431 / 552372 . JM