Für mehr Mobilität und Freude

Werkstatt-Team
Das Fahrradwerkstatt-Team, von links nach rechts: Rainer Schütt, Abbas Leptien, Mustafa Agha und Rüdiger Boge

Fahrradwerkstatt versorgt Flüchtlinge mit Fahrrädern

Es begann im Jahr 2015 in zwei Garagen in der Kopperpahler Allee 1 und entwickelte sich zu einem Erfolgsprojekt, das im fast Verborgenen gedeiht und doch so Erstaunliches leistet. Die Fahrradwerkstatt für Flüchtlinge in Kronshagen hat schon über 400 Fahrräder wieder fahrtüchtig gemacht und an Flüchtlinge weitergegeben.

Dieses Projekt verfolgte von Anfang an mehrere Ziele. Es ging darum, dass Flüchtlinge mit Deutschen in einem Projekt zusammenarbeiten, damit einerseits die Integration erleichtert wird, die Deutschkenntnisse sich verbessern und alle Spaß haben, mit anderen zusammen etwas Sinnvolles zu machen und sich in der Gemeinschaft auszutauschen. Andererseits sollten alte Fahrräder wieder instand gesetzt werden oder aus mehreren alten Fahrrädern wieder fahrtüchtige Fahrräder zusammengebaut werden, um meist fast mittellosen Flüchtlingen ein Fahrrad zur Verfügung zu stellen. Außerdem sollte es eine Anlaufstelle sein, in der Flüchtlinge ihre Fahrräder mit oder ohne Anleitung reparieren können.
Ein Fahrrad bedeutet Mobilität und Herauskommen aus der Enge der Flüchtlingsunterkunft. Es bedeutet auch Freiheit und Integration durch das Kennenlernen der Umgebung. Oder auch einfach eine große Erleichterung für den Schulweg, beim Einkaufen, beim Bringen der Kinder zum Kindergarten.

Wo kommen die alten Fahrräder her?
Die ersten Fahrräder stammten aus Spendenaufrufen, es werden auch immer noch gerne gespendete Fahrräder entgegengenommen; besonders gerne Kinderfahrräder. Mittlerweile erhält die Fahrradwerkstatt vom Fundbüro der Gemeinde Kronshagen auch die Fahrräder, die innerhalb eines Jahres nicht abgeholt wurden. Denn der Bedarf ist riesig.
Räume im ehemaligen Aldi-Markt
Als die Garagen in der Kopperpahler Allee 1 im Zuge der Neugestaltung des Ortskerns abgerissen wurden, musste die Fahrradwerkstatt umziehen. Das stellte sich als Glücksfall heraus. Die Gemeinde Kronshagen stellt die Lagerräume des ehemaligen Aldi-Marktes in der Johann-Fleck-Straße mietfrei zur Verfügung und übernimmt die Stromkosten. Dort ist genug Platz für die Werkstatt, zum Lagern und auf der ehemaligen Verkaufsfläche auch zum Probefahren.
Manchmal fehlen Fahrradteile, die nicht recycelt werden können. Dafür steht Geld aus dem Flüchtlingstopf der AWO Kronshagen zur Verfügung, die die Gelder für besondere Ausgaben für alle Flüchtlinge in Kronshagen verwaltet. Es hilft am Standort Johann-Fleck-Straße auch die Nähe zum Fahrradladen S+V-Fahrräder in der Eckernförder Straße, wo schnell fehlende Ersatzteile besorgt werden können.

Das Fahrradwerkstatt-Team
Die Kronshagener Rüdiger Boge und Rainer Schütt kümmern sich mit hohem Engagement ehrenamtlich um alle Belange der Fahrradwerkstatt. „Ich habe nach meiner Pensionierung eine Aufgabe gesucht, bei der ich handwerklich tätig werden und anderen Menschen helfen kann. Die Fahrradwerkstatt ist da genau das Richtige“, erzählt der ehemalige Sport- und Mathelehrer an der Käthe-Kollwitz-Schule, Rüdiger Boge. Er arbeitet seit Ende 2016 in der Fahrradwerkstatt und holte wenig später seinen Kollegen Rainer Schütt (ehemaliger Lehrer für Biologie, Erdkunde und Wirtschaft / Politik) mit ins Projekt.
„Wir fahren beide gerne Fahrrad, sind aber Autodidakten. Ein Jahr hatten wir das Glück, vom Fahrradprofi Karl Feldner angeleitet zu werden, der mittlerweile ein eigenes Fahrradgeschäft betreibt.“ Nun, nach sieben Jahren, haben sich die Autodidakten längst selbst zu Profis entwickelt.
2019 kam Abbas Leptien aus dem Iran nach Deutschland und hilft seitdem mit. Der 28-Jährige ist engagiert und kann kompetent Flüchtlinge auf Persisch und Aramäisch beraten. Dank seiner deutschen Ehefrau, deren Namen er angenommen hat, sind seine Deutschkenntnisse so gut, dass er seit zwei Jahren bei Bartels-Langness eine Anstellung gefunden hat. Seine ehrenamtliche Arbeit in der Fahrradwerkstatt bedeutet ihm nach wie vor viel – ein gutes Beispiel für eine gelungene Integration. Seit 2020 wird das Team durch Mustafa Agha aus Syrien verstärkt. Der Elektriker macht Sprachkurse und hofft, mit besseren Deutschkenntnissen bald Arbeit in seinem ursprünglichen Beruf zu finden. Dank seiner ruhigen, engagierten Art und fachlichen Kompetenz wird er sehr geschätzt. Und auch wegen seiner Muttersprache ist er für arabisch sprechende Flüchtlinge in der Werkstatt unentbehrlich. Neuester Zugang ist Alexej aus der Ukraine, der mit seinen Sprachkenntnissen und seiner Hilfsbereitschaft zu einem wichtigen Teammitglied werden kann.

Abgabe von Fahrrädern an Flüchtlinge
Wer von den Flüchtlingen ein Fahrrad von der Fahrradwerkstatt bekommen möchte, braucht dafür eine Bescheinigung der Kronshagener Flüchtlingsbetreuerin Kerrin Nissen. Damit erhält er bei der Fahrradwerkstatt für zehn Euro ein Fahrrad. Die zehn Euro werden schon deshalb genommen, weil Dinge, die umsonst sind, häufig nicht in dem Maße geschätzt werden. So hofft das Werkstattteam, dass mit dem Fahrrad pfleglich umgegangen wird. Sollte das Fahrrad nicht wieder reparierbar sein oder geklaut werden, kostet das zweite Fahrrad bereits 30 Euro.
Von jedem Fahrrad wird ein Foto gemacht und es wird notiert, an wen es abgegeben wurde. Das dient auch den Flüchtlingen, weil so beweisbar ist, wie sie in den Besitz eines Fahrrades gelangt sind.

Spenden von Fahrrädern und Teamverstärkung
Die Fahrradwerkstatt kann immer Fahrräder in jeglichen Größen sowie Fahrradhelme und Fahrradkörbe gebrauchen und freut sich über alle Angebote. Die Fahrräder können auch abgeholt werden.
„Wir würden uns auch sehr über – gerne auch weibliche – Verstärkung unseres Werkstatt-Teams freuen, da am offenen Dienstagnachmittag mehr Hände gebraucht werden, als da sind. Vorkenntnisse sind nicht nötig. Die wichtigste Voraussetzung ist die Lust auf ein Ehrenamt, Menschen helfen zu wollen und etwas handwerkliches Geschick“, hofft Rüdiger Boge.
Da das Grundstück für eine genossenschaftliche Wohnbebauung vorgesehen ist, muss die Fahrradwerkstatt dort zeitnah ausziehen. Die Beteiligten würden sich freuen, wenn jemand eine alternative Unterkunft für dieses Projekt zur Verfügung stellen könnte.

Kontakt:
Kerrin Nissen, Flüchtlingsbetreuerin
des AWO-Landesverbands im Auftrag der Gemeinde Kronshagen
Telefon 0431 / 586 62 74, Mobil 0151 / 54 15 85 24
E-Mail: kerrin.nissen@awo-sh.de

Text und Fotos: Silke Umlauff