Vom Gestern für morgen lernen

Der pensionierte Pastor Tilman Lautzas lädt am 13. Mai ins Gemeindehaus der Michaeliskirche in der Schleswiger Straße 57.Foto: Anna Maria Bader

Am 13. Mai startet ein Demokratie-Projekt für Hassee. Mitmachen ist ausdrücklich erwünscht!

Ob es am Ende ein runder Tisch wird, eine Ausstellung oder gar eine Konzertreihe mit jüdischer Musik? Wenn Tilman Lautzas, Pastor im Ruhestand, am 13. Mai zum ersten Treffen des geplanten Demokratie-Projekts in den Gemeindesaal der Michaeliskirche lädt, geschieht dies absolut ergebnisoffen.

Eines steht jedoch schon jetzt fest: Bei der Aktion, zu der jeder und jede in Hassee und Umgebung herzlich eingeladen ist, soll es darum gehen, die Demokratie in der Gesellschaft zu stärken.
Gerade in den aktuellen Zeiten, die von zahlreichen Krisen, Kriegen, Unsicherheiten und zeitgleich wachsenden rechtsextremen Tendenzen in der Bevölkerung geprägt sind, sei es, so Lautzas, besonders wichtig, „Themen sichtbar zu machen“, die zum Ausdruck bringen, dass unsere demokratischen Werte nicht einfach selbstverständlich sind. Themen aus der nationalsozialistischen Vergangenheit unseres Landes, die niemals in Vergessenheit geraten dürfen. Und die gerade jetzt, wenn die letzten Zeitzeugen versterben, erinnert, weiter aufgearbeitet und nach wie vor besprochen werden müssen. Wie die „sehr bewegte Geschichte in Hassee“, die gemäß dem ehemaligen Pastor der Michaelisgemeinde (1998–2008) zwar schon mehrfach, aber noch längst nicht genug beleuchtet wurde. „Hassee im Nationalsozialismus und heute“ lautet daher der Arbeitstitel des angedachten Projekts, bei dem eine Beschäftigung mit dem einstigen „Arbeitserziehungslager Nordmark“ ebenso erwünscht ist wie beispielsweise eine offene Auseinandersetzung mit der damaligen Bau- und Wohnsituation in Straßen wie dem Petersburger Weg, dem Krummbogen oder dem Krusenrotter Weg. Schon vor Jahren war Lautzas gemeinsam mit seinem Kollegen Thomas Lienau-Becker aufgefallen, dass Familien aus den Siedlungshäusern des Petersburger Wegs stets viele Opfergeschichten aus den Kriegsjahren erzählen konnten, während bei Beerdigungen von Familien aus Häusern, die dereinst für Nazi-Offiziere errichtet worden waren, oftmals Schweigen herrschte. Eine Stille, die ab Mai vielleicht gefüllt werden kann? Mit Worten, Bildern und noch mehr?

Aus der Zeit der NS-Diktatur gibt es nur sehr wenige Fotos, die diese Zeit widerspiegeln. Hier ein Bild aus dem Jahr 1938 vom Kinderfest-Umzug durch die sogenannte SA-Siedlung am Vieburger Gehölz.Archivfoto: Siedlergemeinschaft Kiel-Süd

Denn das erhofft sich Lautzas von dem Projekt: einen großen, vielfältigen Dialog, der nicht nur innerkirchlich stattfindet, sondern viele ortsansässige Gruppen und Vereine sowie Schulen und Parteien miteinbezieht. Einfach jede und jeden, ob Jung oder Alt, wobei es natürlich am schönsten wäre, „wenn Jugendliche beteiligt wären“, so Lautzas, der während seiner aktiven Dienstzeit auch zehn Jahre lang als Landesjugendpas­tor der Nordkirche im Einsatz war.
„Ich würde zu einem runden Tisch tendieren“, verrät Lautzas außerdem. Unter der Fragestellung „Was wollen wir machen?“ könnte das konkrete Programm dann entworfen werden. Eine Ausstellung zur Geschichte Hassees vor dem Hintergrund: „Wie ist es damals genau zugegangen?“ Hier lohne sich ein Blick nach Elmschenhagen, wo im Jahr 2022 der „Runde Tisch gegen rechts“ eine hervorragende Ausstellung zum Nationalsozialismus im Stadtteil organisiert habe, die dabei als Anregung dienen könnte. Material könnten zudem Archive, Fotoalben oder alte Kirchenbücher liefern. Und natürlich jede Menge persönliche Geschichten der Anwohner und Anwohnerinnen sowie ihrer Freunde und Verwandten vor Ort. Aber auch Konzerte, beispielsweise mit jüdischer Musik, oder Kunst von damals und heute im Vergleich wären denkbar, so Tilman Lautzas, der sich auf viele Ideen und Anregungen freut.
Auch Susanne Sengstock, Pastorin der Michaeliskirchengemeinde, sieht dem Projekt erwartungsfroh entgegen. „Ich finde Erinnerungskultur sehr wichtig“, erklärt sie gegenüber KIEL LOKAL. In Zeiten, in denen der Rechtsradikalismus immer stärker zunimmt, sei es gut, „in die Vergangenheit zu schauen, um Lehren für die Gegenwart zu ziehen“. Gemeinsam mit dem Kirchengemeinderat war sie an Lautzas herangetreten – dem ursprünglichen Impuls von Pröbstin Almut Witt folgend, etwas zur Demokratieförderung zu organisieren beziehungsweise zu ini­tiieren.
Die Wahl auf den eng mit Hassee und der Michaelisgemeinde verbundenen Pastor i. R. war quasi wie von selbst gefallen: Bereits seit Anfang der 90er-Jahre engagiert der zweifache Familienvater sich intensiv in der interkulturellen Arbeit, in deren Rahmen er immer wieder „Projekte gegen rechts“ organisierte. Bis in den Ruhestand, denn auch heute ist Tilman Lautzas nach wie vor aktiv – beispielsweise als Vertreter des Kirchenkreises Altholstein am „Runden Tisch gegen Rassismus und Faschismus in Kiel“ sowie im Vorstand des Vereins „Migration e. V.“ und der „Deutsch-Türkischen Gesellschaft in Kiel und Umgebung“. Und ab dem 13. Mai nun auch im Gemeindesaal der Michaeliskirche – für ein erstes Beraten mit allen Interessierten darüber, wie das Demokratie-Projekt gestaltet werden kann.
Das Treffen am Montag, dem 13. Mai 2024, beginnt um 19.30 Uhr im Gemeindesaal der Michaeliskirchengemeinde. AB